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„Integrated Industry“: Ist die digitale Vernetzung der deutschen Industrie sinnvoll?
Unter „Integrated Industry“ versteht man die steigende digitale Vernetzung der Industrie. Oft hört man Begriffe wie digitale Fabrik, Internet der Dinge, Industrie 4.0, Digitalisierung, Maschine-zu-Kommunikation u. ä. in diesem Zusammenhang. Unabhängig von den vielen neuen technischen Möglichkeiten stellen sich einige Fragen, insbesondere bezüglich der strategischen Relevanz: Hat „Integrated Industry“ überhaupt Substanz oder handelt es sich nur um eine Modeerscheinung oder unrealistische Zukunftsmusik, ist die deutsche Industrie für „Integrated Industry“ bereit und hilft das Thema, sich weiter von internationalen Wettbewerbern abzusetzen und welche Herausforderungen ergeben sich darauf für Unternehmen und die Volkswirtschaft?
Smartization: Verschmelzung konventioneller physischer Produkte mit IT
Eine zentrale, hierarchische Steuerungsinstanz war der Ausgangspunkt früherer Ansätze, mit dem Internet der Dinge werden Maschinen, Bauteile, etc. selbst smart, weil sie sich selbst organisieren können. Die Verschmelzung konventioneller physischer Produkte mit IT nennt man Smartization. Die IT liefert dabei den Mehrwert für den Nutzer, denn sie wandelt Produkte in Anwendungen um, sodass sie ganz neue und intelligente Funktionen erhalten. Oder die IT ersetzt Teile oder Produktfunktionen, die früher analog mechanisch oder elektrisch ausgelöst wurden. Daraus ergeben sich außerordentliche Möglichkeiten, wie die Vernetzung und Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, autonome, dezentrale Steuerungsmechanismen ohne zentrale Steuerungsinstanz, Nutzung der entstehenden Datenströme, vor allem im B2B-Umfeld, zusätzliche Dienstleistungen im Umfeld des bisherigen Produkts, die das Portfolio erweitern. Daraus folgen Änderungen des Mehrwerts für den Nutzer, des Portfolios des Herstellers, der Geschäftsmodelle und langfristig des Wettbewerbs.
Sieben Bereiche mit Potenzial für „Integrated Industry“
Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch ökonomisch sinnvoll sein. Mithilfe sog. „Killer-Applikationen“ müssen sich nach der ersten Euphorie signifikante Mehrwerte erzielen lassen. Oder es lassen sich Dilemmata, wie die individuelle Mobilität ohne eigenes Auto lösen. Vor allem in sieben Bereichen zeichnet sich derzeit viel Potenzial ab, hier sind in den nächsten Jahren große Wachstumsschübe zu erwarten: automatisierte Prozesse in der verarbeitenden Industrie und der Logistik, Medizintechnik mit dem Bereich der Gesundheitsüberwachung via Internet, intelligente Gebäudetechnik vor allem für mehr Energieeffizienz und Sicherheit, Mobilfunk mit smarten Anwendungen, die Auto-zu-Auto-Kommunikation und intelligente Mobilitätskonzepte im Verkehrswesen, Anwendungen im Energiebereich und zur Ressourcenschonung, schlaue Point of Sale-Systeme im Einzelhandel.
IP-Netzwerke sind Rückgrat für „Integrated Industry“
IP-Netzwerke sind die Voraussetzung für all diese Anwendungen. Diese sind in den letzten beiden Jahrzehnten stark gewachsen und verknüpfen Anwendungen und Nutzer einfach und standardisiert an verschiedenen Orten miteinander. Das Grundgerüst für die IP-Netzwerke existiert, aber gerade im mobilen Sektor wird in den nächsten Jahren ein starker Anstieg der Übertragungsbandbreiten erwartet, was mögliche Anwendungsszenarien weiter anfeuern wird. Aus Sicht der Volkswirtschaft ist unter diesen Voraussetzung Wertschöpfung nur branchenübergreifend in nationalen und internationalen Netzwerken und über Schnittstellen hinweg möglich.
Deutsche Industrie für „Integrated Industry“ sehr gut aufgestellt
Die deutsche Industrie ist für „Integrated Industry“ verglichen mit dem internationalen Wettbewerb vor allem aus Asien und den re-industrialisierten Regionen Großbritanniens und den USA sehr gut aufgestellt und kann zum Schrittmacher werden. Die klassischen Stärken der deutschen Industrie sind dabei die Automobilindustrie inklusive Auto-zu-Auto-Kommunikation und den neuen intelligenten Mobilitätskonzepten, die Produktionstechnik und die IT-Branche. Insgesamt ist das notwendige Denken in integrierten Systemen und Lösungen weit verbreitet. Die deutsche Industrielandschaft verfügt über vielfältige Spezialisierung und die notwendige Breite und Tiefe. Sogar mittelgroße deutsche Industriebetriebe weisen eine internationale Ausrichtung und Vernetzung auf. Der Technologiestandort Deutschland und seine Forschungs- und Innovationscluster verfügen über tragfähige Netzwerke aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. „Integrated Industry wird deren Anpassungs- und Leistungsfähigkeit beweisen. Auch die Energiewende ist eine solche Chance. Allerdings hat die deutsche Industrie noch Nachholbedarf bei dienstleistungsorientierten Geschäftsmodellen und bei Internettechnologien. Zudem ist der demografische Wandel künftig stärker zu berücksichtigen. In Japan und China werden kurzfristig ähnliche demografische Probleme auftreten, hingegen muss vor allem die Entwicklung im sich re-industrialisierenden Nordamerika aufmerksam beobachtet werden.
Technische Gebäudeausrüstung als Beispiel für „Integrated Industry“
Die technische Gebäudeausrüstung ist ein gutes Beispiel für tatsächliche Ausprägungen von Teilaspekten der „Integrated Industry“. Schon heute liefert der unterschiedliche Integrationsgrad in verschiedenen Märkten Analogieschlüsse. Die Gewerke der TGA sind im Kleinen vergleichbar mit den Branchen der „Integrated Industry“. Während in Deutschland die Gewerke-Trennung traditionell noch sehr stark ist, ist diese Trennung etwa in den USA weniger stark. Künftig werden die Gewerke stärker integriert, systemische Gesamtlösungen sind gefragt. Getrieben wird diese Entwicklung von der Steigerung der Energieeffizienz und dem Sicherheitsbedürfnis der Nutzer. Vor allem bei den Domänen Licht, Heizung/Klima, Sicherheit und Gebäudeautomation ermöglicht die zunehmende Vernetzung Quantensprünge bei der Energieeffizienz. Die Vernetzung ist dabei nicht einmal zwischen den Domänen nötig, sondern kann über eine internetbasierte Plattform erfolgen. Die Betreiber von Rechenzentren denken um und sind offen für die Sensordaten aus dem Gebäude. Aus diesen Datenströmen können Optimierungskonzepte erarbeitet werden. In den USA bieten spezialisierte Anbieter schon lange solche integrierten Konzepte und abgeleitete Energiedienstleistungen an.
Hürden auf dem Weg zur Entwicklung von „Integrated Industry“
Zwar klingt die Entwicklung von „Integrated Industry“ logisch, es sind aber noch einige wirtschaftliche und technologische Hürden zu überwinden. Auf der wirtschaftlichen Seite müssen tragfähige Geschäftsmodelle mit richtiger Positionierung und Preispolitik entwickelt und die Anwendungen identifiziert werden, die dem Kunden den Mehrwert bieten, für den Zahlungsbereitschaft besteht. Mobilitätskonzeptanbieter verändern momentan noch Service und Preis für die richtige Konfiguration ihrer Geschäftsmodelle.
Gesammelte Daten mithilfe von Technologie korrekt interpretieren und aufbereiten
Auf der technologischen Seite sind die gesammelten Daten über das Potenzial eines Produktes oder einer Dienstleistung richtig zu interpretieren und aufzubereiten. Die technologische Umsetzbarkeit und Anwendbarkeit ist ebenso sicherzustellen wie die technologische Zuverlässigkeit der Anwendung über einen langen Zeitraum. Bewährte Geschäftsmodelle werden beim Auftreten neuer Geschäftsmodelle oft getestet und laufen Gefahr, ins Abseits geschoben zu werden. Deshalb muss von Anfang an die weitere Entwicklung des bestehenden Produktportfolios betrachtet und Optionen im Verhältnis von möglicherweise nun konkurrierenden neuen Geschäftsmodellen betrachtet werden.
Unternehmen müssen sich für „Integrated Industry“ neu erfinden
Für die deutsche Industrie geht es um viel mehr als neue Produkte und Systeme, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle. Sie müssen sich im Ökosystem der „Integrated Industry“ neu erfinden. Dazu müssen sie agiler und ihre Reaktionen flexibler werden, auf dezentrale Selbstorganisation und die Vernetzung über Unternehmensgrenzen und Branchen hinweg setzen, statt von oben nach unten umgekehrt kommunizieren, ihren „Kern“ definieren und schützen. Insgesamt hat „Integrated Industry“ das Potenzial, ein Segen für die deutsche Industrie zu werden.
(Quelle: http://www.adlittle.de/pressemeldungen_de.html?&no_cache=1&view=413)